Systembedingte Korruption wird als solche nicht erkannt

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Der Beraterfilz, der unter von der Leyens Amtsführung in Berlin entstand, betrifft auch die EU. Zum einen hat die neue Kommissionspräsidentin ihre engsten Mitarbeiter, die bisher alle Vorwürfe gegen sie konsequent abgewehrt haben, nach Brüssel mitgenommen. Zum anderen unterstützt McKinsey laut dem Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, seit vielen Jahren dessen Bemühungen, „Analysen“ zur „europäischen Verteidigungskooperation“ auf EU-Ebene „einzuspeisen“ – mit Erfolg.

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Katrin Suder, die am heutigen Donnerstag vor dem Bundestags-Untersuchungsausschuß aussagen soll, steht im Mittelpunkt der sogenannten Berateraffäre der Bundeswehr. Die damalige deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte sie zum 1. August 2014 als Staatssekretärin in ihr Ministerium geholt, um vor allem die alten verfilzten Strukturen zwischen Streitkräften und Rüstungsindustrie aufzubrechen. Diese gelten als bedeutende Ursache für die fast endemischen Verzögerungen und Kostenexplosionen bei der Beschaffung neuen Kriegsgeräts durch die Bundeswehr. Suder war zuvor für den Beratungskonzern McKinsey tätig gewesen, dessen Berliner Büro sie ab 2007 geleitet hatte und bei dem sie ab 2009 speziell die Kooperation mit staatlichen Stellen koordinierte. Im Verteidigungsministerium war sie zuständig für den Cyber- bzw. IT-Sektor sowie insbesondere für die Rüstung. Zu ihrem Beauftragten für die strategische Steuerung der Rüstung ernannte Suder ihren vormaligen McKinsey-Kollegen Gundbert Scherf. Scherf ist Anfang 2017 zurück zu McKinsey gewechselt, wo er heute unter anderem „Klientenprojekte in … der Luft-/Raumfahrt- und Sicherheitsindustrie“ verantwortet. McKinsey wirbt ausdrücklich mit seinen „Erfahrungen in der Bundeswehr“.

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Zum Gegenstand der Arbeit eines Bundestags-Untersuchungsausschusses ist das Wirken der Ex-McKinsey-Mitarbeiter Suder und Scherf geworden, weil sich unter ihrer Führung offenkundig ein neuer Filz etabliert hat – diesmal einer, der aus Beraternetzwerken besteht. […] Die Tagessätze für Berater erreichten darüber hinaus Beträge von teilweise mehr als 2.000 Euro; von einer „Goldgrube“ für Mitarbeiter von Beratungskonzernen ist die Rede. […] Hinzu kommt, dass McKinsey hohe Gewinne erzielen konnte, während die Ex-McKinsey-Mitarbeiter an führender Stelle im Wehrministerium operierten. Die Profite wurden dabei, um keinerlei Korruptionsverdacht aufkommen zu lassen, teils verdeckt erwirtschaftet. […] Die für McKinsey, aber auch für andere Beratungskonzerne höchst ertragreichen Geschäfte mit der Bundeswehr sind unter teilweise bemerkenswerten Umständen abgewickelt worden. Wellen haben etwa die Aktivitäten von Timo Noetzel geschlagen, einem Mitarbeiter des Beratungskonzerns Accenture, der seine Umsätze mit der Bundeswehr von rund 459.000 Euro im Jahr 2014 auf gut 20 Millionen Euro im Jahr 2018 steigern konnte. Noetzel, der Suder kennengelernt haben will, als er 2013 im Wahlkampfteam des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück tätig war, und anschließend mit Suder bei McKinsey zusammenarbeitete, hielt ab 2015 für Accenture Kontakt zu führenden Stellen im Verteidigungsministerium. Er erklärt, mit Suder „befreundet“ zu sein; von gemeinsamen „Familienausflügen“ ist die Rede […] Als Noetzel am 10. September 2016 seine fünf Kinder taufen ließ, zählten zu den Taufpaten Suders Rüstungsstratege Gundbert Scherf sowie General Erhard Bühler, zum damaligen Zeitpunkt Abteilungsleiter Planung im Verteidigungsministerium. Zu den Taufgästen zählte die „befreundete“ Staatssekretärin Suder. […] Das Näheverhältnis zwischen führenden Ministerialbeamten und privaten Auftragnehmern belastet auch die damalige Ministerin Ursula von der Leyen. Unangenehm für von der Leyen ist darüber hinaus, dass beweisrelevante Textnachrichten auf ihrem Mobiltelefon im Ministerium gelöscht wurden – dies übrigens, nachdem der Untersuchungsausschuss des Bundestages explizit beantragt hatte, sie einsehen zu dürfen, und zunächst mit der Mitteilung hingehalten worden war, das Gerät sei PIN-gesperrt. Der erste Schritt nach dem Auffinden der PIN-Nummer bestand im Ministerium also darin, potenzielles Beweismaterial gegen von der Leyen zu vernichten.

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Der Vorgang betrifft nicht nur die Bundesrepublik, sondern die gesamte EU – in doppelter Weise. Zum einen leitet die Ex-Bundesministerin, deren womöglich belastende Textnachrichten von ihren früheren Untergebenen praktischerweise gelöscht wurden, heute die EU-Kommission. Sie hat darüber hinaus führende Mitarbeiter aus ihrem Berliner Ministerium nach Brüssel mitgenommen. Björn Seibert etwa, zuletzt Chef des Leitungsstabes im Bundesverteidigungsministerium, ist heute Kabinettschef der EU-Kommissionspräsidentin. Seine Aussage vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages am Abend des 7. November 2019 hat bei den Abgeordneten Entsetzen verursacht. Seibert, der als Zeuge die Vergabepraxis des Ministeriums erläutern sollte, hatte sich laut eigener Aussage per Akteneinsicht im Verteidigungsministerium vorab über die schriftliche Beweislage informiert, behauptete dann jedoch, er könne sich an so gut wie nichts mehr erinnern. Ein Abgeordneter der Regierungsfraktionen sprach hochempört von einer „krassen Missachtung des Parlaments“. […] Jens-Alexander Flosdorff wiederum, der als Sprecher der Ministerin sein Haus in der Berateraffäre gegenüber der Presse verteidigt hatte, amtiert heute in Brüssel als von der Leyens Kommunikationsdirektor. Über ihn hieß es kürzlich, es sei ihm „nahezu immer gelungen, auch die noch so umbequemen Sachverhalte so darzustellen, dass seine Ministerin einen Nutzen daraus ziehen konnte“.

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Darüber hinaus betrifft das Wirken des Beratungskonzerns McKinsey und seiner Mitarbeiter die Militärpolitik der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Dazu hat sich im Jahr 2017 Wolfgang Ischinger geäußert, der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Wie Ischinger damals schrieb, arbeite er mit McKinsey, einem „Knowledge Partner“ der Konferenz, bereits seit fünf Jahren in Sachen „europäische Verteidigungskooperation“ zusammen. Das gemeinsame Ziel sei es, „faktenbasierte, ausgiebig recherchierte und gut zugängliche Analysen“ zu erstellen sowie sie anschließend in die Debatte auf EU-Ebene „einzuspeisen“.

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(__Quelle__)



Fazit: Systembedingte Korruption wird als solche nicht erkannt.



Joachim Endemann (__EndemannVerlag__)

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Immerhin habe ich mich darin mit jenen
Tendenzen und Strömungen auseinandergesetzt,
die an der Basis dessen wirken, das jetzt offen zutage tritt.
— Das heißt diese Auseinandersetzung erfolgte beizeiten
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