Übernahme eines Kommentars von Hans-Rüdiger Minow
und einer daraus resultierenden Bemerkung.
Mit den USA untergehen
— Die deutsche Außenpolitik und die US-Wahlen
Hans-Rüdiger Minow
5. November 2020
Über den Verlauf der US-Wahlen und die Reaktionen der deutschen Außenpolitik lässt sich nicht mehr viel sagen. Was in Berlin über den amtierenden US-Präsidenten und seine nächtlichen Vorhaben zur Beendigung der Stimmenauszählung gesagt worden ist, über seine Selbstausrufung zum Sieger, über eine kommende Schlacht vor den US-Gerichten wegen angeblichen Wahlbetrugs – das alles ist harmlos, weil es den tatsächlichen Entwicklungen nicht entspricht. Es unterbietet das Ausmaß der Gewalt, die den Idealen der bürgerlichen Demokratie angetan wird, im angeblichen Stammland ihrer Herrschaft, so als wäre das alles nur ein böses Zwischenspiel, ein gefährlicher Auftritt, der im kommenden Akt, mit Protagonisten der besseren Art, mit einem anderen Skript und einer deutschen Souffleuse den Ausgang des Dramas noch abwenden könnte. Aber dazu ist es zu spät.
Die deutsche Außenpolitik hat vergeblich gehofft, zwischen zwei Unternehmern wählen zu können, von denen der eine dem genehmeren Typ der gemeinsamen Herkunft das Aussehen leiht, während der andere das Gewaltpotential einer illegalen Sanktionspolitik und die extralegalen Tötungsexzesse des US-Militärs völlig offen durchsetzt. Berlin hat gehofft, es könnte diskreter, mit der feineren Art derselben Gewalt zu Kompromissen gelangen, um die eigenen Sanktionen mit den eigenen Drohnen an den eigenen Orten deutscher Weltpolitik in Anschlag zu bringen. Aber dass die eigene Gewalt und die globale Gewalt der führenden Macht ein Ausmaß erreicht hat, das die innere Ordnung an der Basis zerstört und die Herrschaftsfraktionen in den Untergrund zieht, das hat Berlin nicht begreifen wollen und will es weiter nicht verstehen.
Was die deutsche Außenpolitik zu den Fraktionskämpfen anlässlich der US-Wahlen zu sagen hat – man sei entsetzt über den Angriff auf die Ideale der bürgerlichen Demokratie -, hat mit den Idealen der bürgerlichen Demokratie nichts mehr zu tun. Es ist die innere Zersetzung der bürgerlichen Demokratie, die im US-amerikanischen Wahlkampf einen Geruch der Gosse verbreitet.
Dieser Gestank ist nicht neu.
Als der amtierende US-Präsident vor einem Jahr in Greenville (North Carolina) die in Somalia geborene Ilhan Omar, Mitglied der politischen Konkurrenz im US-Repräsentantenhaus und Muslimin, vor einer brüllenden Menge zum Verlassen der USA aufforderte, stieg er in jenen Abgrund, aus dem der Gärstoff jeder zerfallenden Ordnung steigt. Die demagogische Rede, die mehreren respektablen, aber nicht-weißen Bürgern des Landes galt, quittierte das angefeuerte Publikum mit begeisterten Sprechchören „Send them back“. In diesen Chören entblößte sich der Zustand, in dem die äußere und innere US-Herrschaft schwankt und Faschisten hervorbringt (den präsidialen Faschisten und die, die er weckt).
Die deutsche Außenpolitik hat diese Szene nicht goutiert und hat vornehm getan, statt an die eigene Geschichte zu denken: Bedauerlich, aber kein Grund, an der sogenannten Wertegemeinschaft zu zweifeln. Berlin hat auf die andere Fraktion gesetzt. Nur ein Jahr später offenbart sich diese Wertegemeinschaft als ein apokalyptisches Bündnis, in dem es noch an einer Massenbewegung fehlt, um den Herrschaftstaumel der Führungsnation in eine autoritär-faschistische Form zu gießen.
Die deutsche Außenpolitik taumelt dieser Entwicklung hinterher, tut so, als hüte Berlin die demokratische Flamme, aber ist bereit, mit den USA unterzugehen. Aber egal wer die Wahlen gewinnt: Das ist ein hoher Preis, um die deutschen Exportvorteile zu wahren und hinter dem Atomschild der USA weltweit zu expandieren. Der Preis ist zu hoch, doch wenn kein Wunder geschieht, wird Berlin ihn bezahlen.
Quelle
© Hans-Rüdiger Minow
© GERMAN-FOREIGN-POLICY.com
Ich möchte ergänzen:
„Berlin“ wird mit oder ohne USA untergehen. Warum? Einmal deshalb, da ein Segeln im Windschatten anderer dauerhaft nicht möglich ist. Zum anderen deshalb, da die deutsche Machtelite und ihre Satelliten traditionell nicht zu konstruktiver Korrektur befähigt sind. Im übrigen ist mit diesem traditionellen Nichtbefähigtsein die ebenso traditionelle „Befähigung“, anderen die Schuld fürs eigene Versagen in die Schuhe zu schieben
— also, feige die Verantwortung
für die Folgen des eigenen
politischen Forderns und Tuns abzuweisen —,
unauflöslich verbunden. Fürs Erkennen dieses Sachverhalts genügte es, schaute man scheuklappenfrei auf die von der deutschen Politik geforderte EU-Austeritätspolitik und die daraus resultierende Zerstörung der europäischen Gesellschaften
… in Friedenszeiten.
(_Die Art und Weise des Umgangs mit der
SARS-CoV-2-Pandemie unterstreicht das._)
Als Drittes kommt hinzu, daß sich die Masse der Menschen im deutschen Staat konstruktiv entscheiden _müßte_. Auch dafür gibt es traditionellerweise keine Hinweise.
Womit hängt das hier im Nachsatz Ausgedrückte _kausal_ zusammen? Damit, daß sowohl die deutsche Machtelite und ihre Satelliten als auch die Masse der Insassen des deutschen Staates traditionellerweise nicht über eine „geerdete Identität“ verfügen. Woher kommt das? Das kommt daher, daß das Denken in diesem Staat traditionellerweise von einer Philosophie geprägt ist, die von ihrer Anlage her dem Ideellen den Vorzug vor dem Realen gibt, und das, obwohl die tatsächlichen gesellschaftspolitischen Entwicklungen diese Art des Denkens gleich mehrfach schon ad absurdum geführt haben. Wozu dient diese Art des Denkens? Möglichst zu verhindern, daß der Masse der Menschen kollektiv auffällt, daß diese Art des Denkens bewirkt, nicht ihre realen Interessen zu erkennen. Und was bewirkt das? Das bewirkt, daß sowohl die Beurteilung der Realität als auch die eigene Wahrnehmung
— traditionellerweise —
konstant von dort aus erfolgt, wo
— um den Bogen zum Heute zu schlagen —
die Rolltreppen des Berliner Großflughafens in der Phase seiner Vermurksung endeten: ein Meter und fünfzig über dem Boden.
… Manche nennen das tragisch,
ich nenne es tragisch dumm.
© der Ergänzung: Joachim Endemann