[…] Stellen wir uns eine Welt vor, in der die Produktivitätsgewinne, die der Schumpetersche Prozess der schöpferischen Zerstörung schafft, immer und immer vollständig in den Löhnen weitergegeben werden müssen, weil sonst gar nicht die Kaufkraft vorhanden ist, um das Mehr an Produkten zu kaufen, das die Unternehmen produzieren können. Stellen wir uns vor, jede nationale Volkswirtschaft wäre eingebettet in ein vernünftig konstruiertes Währungssystem, das verhindert, dass einzelne Länder riesige Außenhandelsüberschüsse machen und damit Merkantilismus unmöglich wird. Stellen wir uns vor, dass der Versuch der Unternehmen, ihre finanzielle Situation zu verbessern wegen der Restriktion des Währungssystems von den Staaten verlangt, die öffentlichen Haushalte permanent im Defizit zu fahren. […]
Quelle: Thomas Piketty, die Neoklassik und die Realität.)
Diese knappen Sätze von Heiner Flassbeck beinhalten eigentlich alles, das die Voraussetzungen dafür schaffte, daß Handel und wirtschaftliche Prosperität sozusagen positiv spiralförmig immer mehr Gesellschaften erfassen würden — vorausgesetzt, man praktizierte sie bspw. in einem der an sich besten Wirtschaftsräume der Welt (der er heute allerdings nicht mehr ist).
Es ist Ausdruck von gefährlicher Borniertheit und fehlleitender, ideologiebehafteter Beratung, daß das insbesondere von der deutschen Politik nicht zur Kenntnis genommen wird, man statt dessen an einer Politik festhält, die nicht als Modell für andere dienen kann, da es nur unter ganz bestimmten Bedingungen zu funktionieren
_s c h e i n t_.
(__„Scheint“ deshalb, da es tatsächlich nicht einmal unter diesen ganz bestimmten, also nicht einmal unter jenen Bedingungen funktioniert, die auf Grund der Fehlkonstruktionen in der Europäischen Wirtschaftsunion gelten.__)
Daß diese oben zitierten Punkte
(__die tatsächlich genau jene sind, daß die Wirtschaft einer Gesellschaft als das funktionieren kann, das man als Marktwirtschaft bezeichnet__)
von neoliberalen Ideologen und den von diesen beratenen Politikern, die bei jeder Gelegenheit von Marktwirtschaft und Freiheit des Handels reden, ignoriert werden können, ist lediglich deshalb möglich, da sie einen Zusammenhang, der auf betriebswirtschaftlicher Ebene bis zu einem gewissen Punkt von Bedeutung ist, auf eine Ebene übertragen, auf der völlig andere, nämlich gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge gelten.
Auf diese Weise aber ergeben sich für solche Ideologen und Politiker und schreibenden Mitarbeiter der Medien-Konzerne, beste Möglichkeiten stets am Kern des Problems vorbeizureden. Denn durch die Ausblendung der oben zitierten Punkte, wird es erst möglich, daß, bspw., der sogenannte demographische Wandel als Problem hingestellt werden kann. Oder daß jemand davon reden kann, wir würden über unsere Verhältnisse leben
— obwohl die Fakten etwas ganz anderes zu erzählen wissen.
Nun, redet jemand von Marktwirtschaft, und erkennt Marktwirtschaft als das Prinzip an, wodurch eine Gesellschaft sich am besten entwickeln könne, ist es aus meiner Sicht Bedingung, daß insbesondere über folgende Fakten Klarheit herrschen muß:
A) Die sogenannte unsichtbare Hand des Marktes existiert nicht.
(__Was übrigens von Adam Smith
auch nie behauptet worden ist.
[Vgl. a.u.a.O., Fußnote 476, Seiten 607 f.]__)
B) Adäquat steigende Löhne (also gemäß der Goldenen Lohnregel (vgl. a.u.a.O., Fußnote 177, Seiten 214-218)
(__!__in allen Branchen__!__)
sind für die eigene Wirtschaft und für den internationalen Handel Bedingung dafür, daß dauerhaft prosperierend und nachhaltig produziert werden kann.
C) Will jemand sparen, muß sich ein anderer verschulden. Das heißt wollen alle großen Akteure einer Gesamtwirtschaft
(__also Unternehmerhaushalte, private Haushalte und Öffentliche Hand [__die es übrigens im Gegensatz zur unsichtbaren Hand des Marktes tatsächlich gibt__]__)
gleichzeitig sparen, funktioniert das nicht — es sei denn, daß der vierte große Akteur bereit zur Verschuldung bliebe.
(__Also das Ausland, so es nicht Mitglied in derselben Währungsunion wäre, die von jener Gesamtwirtschaft dominiert wird, deren Vertreter von allen diesen verlangt, es ihr gleichzutun.__)
D) Der von den Ideologen der neoliberalen Doktrin beschworene Wettbewerb, ist ein von ihnen gesetztes, also künstliches Prinzip.
E) Die Entwicklung der Produktivität einer Gesamtwirtschaft muß sich stets in den Löhnen widerspiegeln, denn eine Marktwirtschaft zeichnet sich nicht dadurch aus, daß sie von “Leistungsträgern” dominiert wird, sondern daß alle Mitglieder einer Gesellschaft daran partizipieren können, da Marktwirtschaft auf Arbeitsteilung beruht. Wohingegen “Leistungsträger” eine “Leistungsträgerwirtschaft” benötigten, die zwar modellhaft vorstellbar, nicht aber praktikable wäre.
Die Konsequenzen aus diesen Fakten, also insbesondere deren Nichtbeachtung, sind übrigens u.a. Thema von:
Mit freundlichen Grüßen, Joachim Endemann
© Joachim Endemann