Offener Brief an die Ratsmitglieder des Finanzausschusses der Stadt Mülheim an der Ruhr

Sehr geehrtes Ratsmitglied des Finanzausschusses,

völlig unabhängig davon, daß es nicht nur Verschwendung von Steuergeldern, sondern auch Ausdruck von Realsatire ist, werden für die Bewachung der VHS pro Tag knapp 860 EUR (!) Steuergelder ausgegeben, fordere ich Sie hiermit auf sich im Rat der Stadt dafür einzusetzen, daß das bestehende und denkmalgeschützte VHS-Gebäude an der Bergstraße erhalten bleibt. Denn, bedenken Sie, daß es nicht Ausdruck von Verantwortung sein kann, erst ein Gebäude verkommen zu lassen und dann zu behaupten, es sei nicht wirtschaftlich zu sanieren. Das heißt ich muß Ihnen sagen, daß mich das solange nicht interessiert, bis die Frage geklärt ist, wieso man diesem Gebäude nicht jenes hat regelmäßig angedeihen lassen, welches jedes Gebäude benötigt, will man es möglichst lange nutzen, insbesondere, handelt es sich dabei um sowohl ein öffentliches als auch um ein denkmalgeschütztes Gebäude.

Auch ist die Behauptung nicht überzeugend, der Brandschutz sei nicht ausreichend und, nun verdächtig nachgeschoben, die Statik sei als fragwürdig anzusehen, deshalb müsse jetzt gutachterlich geprüft werden. Immerhin ist davon auszugehen, daß dieses Gebäude vor Beginn seiner Nutzung auf seine Statik hin geprüft worden ist. Überdies liegen den Verantwortlichen in der Stadtverwaltung seit Jahren die notwendigen Gutachten vor, die ausreichende Klarheit geschaffen hatten, wie bei einer Sanierung vorzugehen sei. Ein Gutachten, das jetzt die Statik des Gebäudes prüfen soll und für dessen Bezahlung mal eben der letzte Rest aus dem Topf genommen werden soll, der für Unterhalt, Sanierung und Modernisierung des VHS-Gebäudes vorgesehen ist, und das vor dem Hintergrund der Nacht-und-Nebel-Aktion der Schließung der VHS im September, läßt einen gewissen Geruch in die Nase steigen.

Das neueste nachgeschobene Argument, das direkt vom Kämmerer dieser Stadt kommen soll, ist nicht anders fragwürdig:

Das Gebäude sei zu groß, es wäre also nicht voll ausgelastet und biete zu viele Freiflächen.

Abgesehen davon, daß dieser Punkt weiter unten noch Erwähnung findet, und es sich dann zeigen wird, daß genau das von Vorteil ist — bezogen nämlich auf die aktuelle Situation, ist zu diesem nachgeschobenen Argument des Kämmerers zu sagen, daß ein bereits vorhandenes, mit einer gewissen Großzügigkeit ausgestattetes Gebäude,

das zu einer Zeit gebaut worden ist, als offenbar noch nicht im rein betriebswirtschaftlichen Sinne, sondern im kommunalen, Menschen zusammenbringenden Sinne, also so gedacht worden ist, wie es für eine Stadt richtig, notwendig und angemessen ist,

lediglich der entsprechenden Wiedernutzung bedarf.

(__Zumindest war die VHS in Mülheim in der Vergangenheit kein Zuschußbetrieb, sondern hatte zu einem Drittel den Kulturetat erwirtschaftet. Ob das in Zukunft noch so sein wird ist mehr als fraglich: Oder was soll für Kursteilnehmer daran so attraktiv sein, in heruntergekommenen Schulräumen an einem Kurs teilzunehmen, der seinen Preis dann nicht mehr rechtfertigte, ganz zu schweigen von dem fehlenden technischen Equipment oder völlig unzureichendem Sitzkomfort?__)

Bezogen auf diese Aussage des Stadtkämmerers, könnte übrigens jener Spruch aus der Schublade gezogen werden, der so oft in umgekehrten Zusammenhängen parat ist und der da lautet: Das Angebot schafft sich seine Nachfrage. Oder anders ausgedrückt, richtig beworben (__daran mangelt es__), mit einer engagierten Leitung (__die gibt es nicht__) und mit engagierten Dozenten (__die gibt es allerdings!__) ausgestattet, dürfte es kein Problem sein, die Kapazität des Gebäudes der Heinrich-Thöne-Volkshochschule wieder voll zu nutzen. Schon allein das Forum bietet sich bspw. an für Vorträge oder/und für Theateraufführungen (__für jung und alt__).

Im übrigen weise ich Sie hiermit darauf hin, daß mir der Umstand bekannt ist, daß in einem der Gebäude des Broicher Schulzentrums VHS-Kurse abgehalten werden, _obwohl_ der Brandschutz dort völlig unzureichend ist. Ich hoffe, Sie erkennen den Widerspruch und ich hoffe auch, daß Ihnen klar ist, welche Konsequenzen das _sofort_ nach sich ziehen müßte.

Ihre Aufgabe als Ratsmitglied kann es jedenfalls nicht sein, also völlig unabhängig von einer Parteizugehörigkeit, denn, so muß sich der Eindruck beim unvoreingenommenen Beobachter festsetzen, offenbar mit einer gewissen Kontinuität produzierten Murks der Verantwortlichen in der Stadtverwaltung zu decken. Sondern Ihre Aufgabe hat es zu sein, im Namen der Bürger dieser Stadt solche Ungereimtheiten zu kontrollieren, bzw. einer unabhängigen Kontrolle zuzuführen, und rechtzeitig nach außen zu kommunizieren — immerhin liegt die Souveränität bei den Bürgern, soll es sich dabei nicht um eine Farce handeln.


Betrachtet man die Angelegenheit sachlich, ist die Behauptung nicht nachzuvollziehen, daß Sanierungsarbeiten bei fortgesetzter Nutzung des angestammten, unter Denkmalschutz stehenden VHS-Gebäudes nicht möglich seien, da in der Vergangenheit in Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden der Stadt, bspw. seien die Gustav-Heinemann-Gesamtschule und die Stadthalle genannt, unter solchen Bedingungen durchgeführt worden sind.

Die Möglichkeiten, die Sanierung des VHS-Gebäudes bei fortgesetzter Nutzung durchzuführen, sind aber weit besser als bei den genannten Beispielen. Denn, um nun auf den vom Kämmerer genannten Punkt zurückzukommen, gerade seine großzügige Konzeption erlaubt es, während der Durchführung von Sanierungsmaßnahmen in dem einen Teil,

innerhalb des Gebäudes selbst also,

Kurse in einem anderen Teil abzuhalten. Ebenso wird die Sanierung bei eventuell anstehenden strukturellen Maßnahmen dadurch erleichtert, da es dabei zu keiner Freisetzung von Schadstoffen kommen kann, solche sind nämlich bei der Gebäudeerrichtung nicht verwendet worden, wie aus dem in der Stadtverwaltung unter Verschluß liegenden Gutachten hervorgeht.

(__Übrigens müßte Ihnen als von Bürgern der Stadt gewähltes Ratsmitglied bekannt sein, daß die Verweigerung auf öffentliche Einsichtnahme eines Gutachtens, das aus öffentlichen Mitteln erstellt worden ist, mit demokratischen Mindeststandards unvereinbarer ist.__)

Erleichternd kommt bei Sanierungsarbeiten am denkmalgeschützten VHS-Gebäude noch hinzu, daß es auf allen seinen Ebenen über sofort zugängliche Fluchtwege ins Freie verfügt: denn es ist einst sinnigerweise _ausschließlich_ als Weiterbildungseinrichtung konzipiert und gebaut worden.

Also ist von Ihrer Seite folgendes bei Ihren Überlegungen zu bedenken:

Eine objektive Wirtschaftlichkeitsprüfung kann nur zu dem Ergebnis kommen, daß ein vorhandener Standort mit einem vorhandenen Gebäude, das ausschließlich als Weiterbildungsstätte für eine nicht zu große Stadt konzipiert worden ist, d.h. errichtet für eine Stadt mit kulturellem Anspruch, wozu selbstverständlich ein weitgefächertes Bildungsangebot gehört, schon allein deshalb preisgünstiger sein muß, als ein Neubau oder eine Anmietung, befinden sich sowohl das Grundstück als auch das Gebäude im Besitz der Stadt.

Und es ist in diesem Zusammenhang zu wiederholen, daß es kein Argument sein kann, die Sanierung sei unwirtschaftlich, da das Gebäude marode sei, wenn vorher offenbar systematisch nicht für die notwendige Instandhaltung sowie Modernisierung gesorgt worden war.

Auch ist darauf aufmerksam zu machen, daß es fragwürdig ist, wenn _mal eben_ Jahreszahlen, bezüglich der Wiedereröffnung, und Geldsummen, bezüglich der Sanierungskosten, öffentlichkeitswirksam genannt werden, ohne jede weitere Begründung für solche Behauptungen vorlegen zu können.

Nicht anders ist die Behauptung zu beurteilen, daß eine „dezentrale VHS“ die richtige Variante sei, denn was sollte an einem Dezentralisierungskonzept günstiger sein, wenn bspw. für gewisse Dinge Geräte doppelt da sein müßten, z.B. Kopierer? Dezentralisierung mag sich zwar nach Flexibilität anhören, aber ist denn das die Frage? Ist nicht zuerst die Frage die:

Wie verhält es sich mit der Struktur der Stadt?

Was für die eine Stadt richtig sein kann, muß nicht für die andere gelten.

Was in anderen Bereichen gewiß richtig ist, nämlich das Schauen über den eigenen Tellerrand zu üben, ist nur begrenzt sinnvoll, geht es um die gewachsene Struktur der eigenen Stadt.

Es ist zwar nicht zu bestreiten, daß eine Dezentralisierung in einer großen Stadt durchaus Sinn machen kann. Aber ist Mülheim eine größere Stadt als Essen?

Dort ist man diesen Weg von der Zentralisierung zur Dezentralisierung jedenfalls gegangen, kam dann aber zu dem Schluß, daß Zentralisierung doch sinniger sei. Und existiert ein Standort bereits zentral, ist dann nicht zu überlegen, welche Vorteile das bietet, insbesondere, handelt es sich um die Größe _dieser_ Stadt?

So wäre in Mülheim die ganze Palette des VHS-Angebots zugleich in mehreren Stadtteilen anzubieten kaum realisierbar, mangels ausreichender Nachfrage dort, hingegen am _bestehenden_ zentralen Ort schon.

Auch ist es keine Verbesserung, werden die einen Kurse in dem einen, die anderen in einem anderen Stadtteil angeboten. Denn das führte bspw. zu langen Anfahrten für Kursteilnehmer und Dozenten, die, falls sie den öffentlichen Nahverkehr nutzten, wahrscheinlich ein Umsteigen erforderten. Das aber würde so manchen Teilnehmer aus verschiedenen Gründen abschrecken.

Und: Wie ist denn eigentlich jene Idee zu verstehen, daß auf diese Weise auch Kurse zu „bildungsfernen Schichten“ gebracht werden könnten? Also bestimmte Kurse nur in einem bestimmten Stadtteil?

(__Übrigens ist mir die Begriffsbildung „bildungsferne Schichten“ ähnlich suspekt wie „Problemviertel“, denn beide Bezeichnungen stehen für etwas, das weder auf den Bäumen noch aus dem Boden wächst.__)

Dezentral bedeutet also per se weder preiswert noch bürgerorientiert. Zentral hingegen bedeutet, daß alles an einem Ort vereinigt zu nutzen und anzubieten ist: von der Verwaltung bis zu einem Kurs, der niemals in einem Stadtteil angeboten würde, obwohl dort ein paar Menschen wohnen mögen, die gerade an diesem teilnehmen wollten, so in anderen Stadtteilen nicht anders, ihn also zentral anzubieten erst lohnend wäre — für die Einnahmeseite der Stadt und für die Interessierten, die alle ähnlich lange Wege hätten (__wohnten die nicht gerade selbst im Zentrum__), sowie sich überdies gleich gegenüber ein großer Parkplatz befindet.

Auch ist eine Abstimmung zentral weit besser zu organisieren, vorausgesetzt die Kommunikation stimmt und alle ziehen an einem Strang, anstatt je das eigene Süppchen kochen zu wollen — wie’s so üblich wie schädlich ist.

Bezüglich der Kosten für eine Sanierung _dieses_ Gebäudes, sind aber jene Kosten abzuziehen, die jährlich zu bezahlen gewesen wären, wenn der Unterhalt und die Modernisierung regelmäßig und anfallende Reparaturarbeiten zeitnah ausgeführt worden wären. Diese sich über die Jahre summiert habenden Kosten, da nichts von dem genannten durchgeführt worden ist, sowie jene Kosten, die _wegen_ der Versäumnisse noch hinzugekommen sind, als Beleg für eine nun unwirtschaftlich teure Sanierung zu nehmen, ist genauso unseriös, wie es fragwürdig ist, Schulsanierung und VHS-Sanierung gegeneinander auszuspielen. Hinzutritt, wie Sie wissen, daß es sich um ein denkmalgeschütztes Gebäude handelt.

Ein Wort noch zum Denkmalschutz.

Das Gebäude der VHS Mülheim gilt manchen als häßlich, nicht denkmalschutzwürdig. Wer das sagt, sollte sich das Gebäude doch einmal richtig anschauen. Es ist ein Beispiel für die Art und Weise des Bauens in den 70er Jahren — und sogar ein schönes, genau auf die Bedürfnisse einer Weiterbildungsstätte abgestimmtes.

(__Wer behaupten wollte, daß das nicht mehr zeitgemäß sei, dächte schräger als er glaubt.__)

Und wer argumentieren wollte, daß dann ja jede Menge Gebäude aus dieser Zeit genommen werden könnten, hat nicht verstanden worum es beim Denkmalschutz geht: Ein exemplarisches Beispiel für eine Epoche oder einen Zeitabschnitt als Denk_mal zu erhalten, also auch als Möglichkeit darüber nach_zudenken, wie sich die Sicht auf die Welt verändert — und wodurch. Wollte ich hingegen lediglich die architektonischen Bauten aus „ferner“ Vergangenheit erhalten, blieben zurück realitätsferne Bewußtheit, also Schein_Bewußtheit, gepaart mit schein_hafter Kultur:

„_Das_ ist Kultur!“ — sagte der Banause zu seinem Kind und merkte nicht, daß er grade das in ihm Keimende folgenreich erzittern ließ.


Folglich hat die Vorgabe bei jeder Ihrer Entscheidungen folgende zu sein:

Sanierung des bestehenden Gebäudes, und keine Luftnummern eines vermeintlich preisgünstigeren und früher zu beziehenden Neubaus oder daß private Anmietung günstiger sei. Das sind ins Blaue hinein abgegebene Versprechungen, die eher das eigene Nachdenken behindern, also suggestiven, wenn nicht gar noch anderen Charakter haben.

— „Nachhaltigkeit“ bezieht sich übrigens auch auf vorhandene Bausubstanz.

In die Überlegungen, wieso das VHS-Gebäude an der Bergstraße in seinem Bestand zu sichern sei, sind ebenso folgende, weiter oben teilweise schon angerissenen Fakten insbesondere in Betracht zu ziehen — die also erst von einem Ersatzstandort zu erfüllen wären:

  • Unschlagbar gute Verkehrsanbindungen in alle Richtungen Mülheims, nach Duisburg und Oberhausen;
  • sehr gute Parkmöglichkeiten;
  • einzigartiges Kultur-Ensemble, bestehend aus VHS, Stadthalle, MüGa, Schloß Broich, Ringlokschuppen, HRW und Camera Obscura;
  • für die Erwachsenenbildung bereits gut ausgestattete Unterrichtsräume (__im Gegensatz zu den momentanen Lösungen in Schulen, etc.__);
  • ideale Begegnungsstätte für alle Teilnehmer in den Pausen und auch nach den Kursen;
  • in einer zentralen Bildungsstätte fühlt sich das Lehrpersonal als Kollegium, das bedeutet auch: das Ziehen an einem Strang ist entschieden einfacher;
  • eine Vereinfachung der schulischen Organisation und gute Lernmöglichkeiten an einem zentralen Ort (__im Gegensatz zu einer dezentralen VHS__).

Im übrigens sollten Sie sich fragen, wieso das Mißtrauen der Bürger nicht nur gegenüber den Verantwortlichen in der Stadtverwaltung wächst, sondern ebenso gegenüber den Ratsmitgliedern. Und nicht gut beantwortet wäre dies damit, sagte man: das ist doch allgemein so …

Mit freundlichen Grüßen, Joachim Endemann

© Joachim Endemann (__EndemannVerlag__)