Neues aus Täuschland 8 _ Schwellenrede

Aufzeichnung einer Rede der geschäftsführenden Königin von Täuschland an der Schwelle zum Jahr 2018.

Untertanen, Ihr habt mich zur geschäftsführenden Königin von Täuschland gemacht! Also ist die Schwelle zum neuen Jahr die Gelegenheit, Euch die Dinge zu sagen, die mich wirklich bewegen. Zumal, wie schon vor 12 Monden, auch in diesem Jahr eine Rede an vergleichbarer Schwelle von mir veröffentlicht worden ist, die nicht meinen wahren Gedanken entspricht. Hier nun meine wirklichen Gedanken, die ich nämlich vor dem Hintergrund des schrumpfenden Europas denke, das einst etwa 50 Staaten umfaßte, heute aber, also nach meiner eigenen selbstherrlichen Definition sowie der meiner ein- und ausschließenden Berater, nur noch 27.

Leider mußte ich insbesondere auch in diesem Jahr lästige Gespräche mit einigen von Euch Untertanen führen. Dies ist nicht mein Wunsch gewesen, steht aber ein großer Mach-dein-Kreuzchen-Tag an, muß ich dies tun. Glücklicherweise filtern sowohl mein Hofstaat als auch meine Schreiberlinge und Neuland-Schreiberlinge es für mich so heraus, daß man mir immer nur die Fragen stellt, die mir passen und sich in jenes große Ganze einfügen lassen, dem ich verpflichtet bin.

Und nun soll ein Riß durch unser schönes Täuschland gehen. … Die einen sagen, und das sind meine Freunde und meine Hofnarren, daß in diesem wunderbaren Täuschland alles wunderbar sei.

Daher schreiben meine Freunde, die Schreiberlinge, tagein tagaus, jahrein, jahraus, daß alles gut wäre: Sie erzählen Euch einfach jeden Tag, daß immer mehr von Euch wie noch nie arbeiten könnten.

Meine Hofnarren aber mahnen, ich solle Euch besser nicht erzählen, daß immer mehr Menschen für immer weniger Dukaten arbeiten müßten, weil sich das nicht so schön anhörte.

Ebenso sagen sie mir, daß ich auch loben soll, daß nämlich viele von Euch nun bereit seien, den ganzen Tag zu arbeiten — ohne einen einzigen entschädigenden Dukaten zu bekommen. Sie haben gesagt, ich solle dies Ehrenamt nennen, denn dann sei es Euch, meine lieben Untertanen, eine Ehre, dies zu tun und so würde keiner merken, daß überall tatsächlich eine große Misere herrscht, denn die Arbeit, die eigentlich getan werden müßte, lassen wir nun entweder einfach ohne Dukaten tun—oder sie bleibt ungetan.

Nun, und dann gibt es da leider auch die anderen von Euch. Diese ewigen Nörgler, diese Schlechtredner: Diese Untertanen, die sich überall beschweren, weil ihre Arbeit ihnen nicht genug Dukaten einbrächte, so daß sie im Alter keine Dukaten haben würden — oder weil die einen Lehranstalten mehr heruntergekommen seien als die anderen, oder wegen der Löcher auf den Wegen und in den Brücken, und überhaupt nörgeln die über alles. Und dies tun sie sogar im Neuland. — Aber liebe Untertanen, das werde ich unterbinden, dazu haben wir schon diverse Edikte erlassen, zum Beispiel dieses NetzDG.

Wirklich froh macht mich aber, daß wir es in diesem Jahr geschafft haben, Euch glauben zu machen, daß unser Hauptproblem mangelnde Sicherheit sei. Denn daran haben meine Schreiberlinge und meine Geheimen Freunde hart gearbeitet. Endlich seid Ihr bereit, Eure Freiheiten aufzugeben für mehr Schutz durch Soldaten, Offizieren und Schutzleuten. — Glaubt mir, meine Untertanen, es war viel Arbeit für meinen Hofstaat, Euch dieses klar zu machen.

Gewiß, meine Schreiberlinge, die stets treu zu mir stehen, haben mir sehr geholfen und stets und immer wieder berichtet, wie viele böse Buben es hier gibt. Und genauso gewiß ist es, daß sie, wenn das nötig war, ein wenig an der Wahrheit gedreht hatten — denn das diente ja dem guten Zweck.

Vergeßt nicht, ich mußte extra die großen Könige aus anderen Ländern nach Hamburg zu dem großen Tore der Welt einladen, um Euch dieses deutlich zu zeigen. Es bedurfte einer großen Planung, bis es wirklich so aussah, als wäre die gesamte Hansestadt von linken Untertanen zerschlagen worden … da mußten meine Geheimen Freunde und ich schon so einiges aushecken … und das ist uns durchaus nachwirkend gelungen!

Natürlich bin ich Euch nicht mehr ganz so wohlgesonnen, denn daß Ihr mir am letzten Mach-dein-Kreuzchen-Tag nur 1 von 5 Kreuzchen gegeben hattet, erzürnte mich schon.

Ich weiß, daß einige von Euch glaubten, daß ich dann einen Hofstaat mit posierenden Models oder grünlichen Hofnarren machen würde und es war auch nicht so einfach, solches Begehren abzuwehren: Sechs Wochen lang mußte ich jeden Tag mit diesen Narren zusammensitzen.

Glücklicherweise haben wir aber von morgens bis abends nur über die Menschen aus dem Morgenland geredet, die zu uns kommen, weil sie in ihren Ländern nicht mehr leben können

— denn unsere Politik hat durchaus Auswirkungen.

So wurde wenigstens nicht über die un_schönen Dinge geredet. War ich froh, als das endlich vorbei war. Denn _ich_ lasse doch nicht jeden zu meinem Hofnarren werden

— es sei denn, er wurde mir ans Herz gelegt!

Mal sehen, was der Schulz-Schuld-Heiß nun macht— denn der ist jetzt extra meinetwegen in Zugzwang.

(__Nun Ihr lieben Leut! Ihr wißt, daß ein Schuld_Heiß ein in vielen westgermanischen Rechtsordnungen vorgesehener Beamter ist, der Schuld heischt: Er hat also im Auftrag seines Herren die Mitglieder einer Gemeinde zur Leistung ihrer Schuldigkeit anzuhalten und Abgaben einzuziehen oder für das Beachten anderer Verpflichtungen Sorge zu tragen.__)

Na, ich werde ihn schon noch unter meine Knute kriegen!

Meine Hofnarren haben mir aber auch berichtet, daß ihr immer irgendwelche Visionen wollt, daß ich also sagen müßte was ich vorhätte. Nun, das finde ich sehr nervend, denn ich möchte eigentlich nur das eine:

Herrschen! DAS muß reichen !

Visionen, Visionen!

Gewiß, mein Seher hat in die Kugel geschaut und gesagt, was er sieht:

— Wir werden mehr Plätze zum Arbeiten schaffen, denn da es immer weniger Dukaten gibt, werdet Ihr mehr arbeiten müssen.

(Aber keine Sorge, meine Schreiberlinge werden Euch davon derartig berichten, daß Ihr alle all jenen Nörglern sagen könnt: „Die Wirtschaft boomt!“.)

— Wir werden den großen Firmen und Konzernen noch mehr Rechte einräumen, und wir werden ihnen auch weiterhin keine Schwierigkeiten bereiten, nur weil einmal unglücklicherweise herausgekommen war, daß die Werte für austretende Gase nicht stimmen, oder daß bspw. die Eier nicht rein oder sonst ein klein wenig Gift in der Nahrung ist — denn Glyphosat ist gesünder als Wurst, wie kürzlich erst einer meiner Berater meinen Schreiberlingen verraten hatte.

— Wir werden in diese „Digitalisierung“ viele Dukaten stecken, denn diese ermöglicht es uns, Euch viel besser zu steuern und zu kontrollieren.

(Und wieder werden mir die Schreiberlinge beistehen — und so werdet Ihr glauben, daß das alles ausschließlich für   _E u c h_   gut sei.)

— Vor allem in den Schulen und Universitäten werden uns die neuen digitalen Möglichkeiten helfen zu verhindern, daß irgendwelche Querdenker oder Querulanten unseren Kindern Ideen von Freiheit eingeben.

— Wir werden alles dafür tun, daß Ihr noch viel mehr für noch weniger Dukaten arbeiten könnt, auch Eure Neugeborenen könnt ihr bei uns zur frühzeitigen digitalunterstützten Trimmung auf Wirtschaftlichkeit abgeben — denn das Jobwunder _muß_ weitergehen.

Vor allem aber:

Mein Hofstaat, meine Geheimen Freunde und ich werden viele Millionen Dukaten in ein starkes Täuschland investieren, wo überall alles von Schutzleuten überwacht wird.

Und, wie ich Euch schon vor zwölf Monden versichert hatte, werden wir alles daransetzen, daß keine Menschen mehr aus dem Morgenland zu uns kommen können. So hatte ich Euch bereits im letzten Jahr von diesem Flüchtlingsmanagement berichtet — auch da haben wir vieles verbessert: Die Grenzen dieses Europas sind gut geschützt, da kommt jetzt keine Dschunke oder Schaluppe mehr durch.

Und in den Staaten hinter dem Morgenland haben wir gar große Lager gebaut, da sperren wir all jene Menschen einfach ein, die deshalb bei uns leben wollen, da das für die in ihrer Heimat nicht mehr möglich ist

— denn, wie gesagt, unsere Politik ist

_nicht_

ohne Wirkung.

Gewiß, viele dieser Lager sind nicht schön, aber diese Fliehenden bekommen jeden Tag immerhin eine Flasche: die können sie erst leeren und dann wieder füllen …

(__Wo sollen wir denn noch überall Latrinen bauen
— bei uns fehlen sie ja auch!__)

Wenn die Fliehenden in den Lagern aber arg großes Glück haben, werden sie auch auf einem der dort neu entstehenden Märkte gekauft: Denn es gibt jetzt wieder Märkte, auf denen man Menschen freikaufen kann — und freie Markt- Wirtschaft ist doch etwas Gutes…

Ihr seht, meine Untertanen, ihr könnt Euch auf mich verlassen. in jeder Beziehung, in allen Bereichen! So wie es immer war!

Ich wünsche Euch, meine Untertanen, daß Ihr mir alles glaubt und falls das nötig wird, das Kreuzchen dieses Mal richtig, nämlich bei mir macht — und ein neues Jahr.

© Kirsten Grunau

© EndemannVerlag

Sprecher: Joachim Endemann